Elektroauto Chronik eines Irrtums

Ionity

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Aktualisiert 27.9.2020

Ionity GmbH: Das Joint Venture wird von BMW Group, Daimler AG, Ford Motor Company sowie vom VW-Konzern mit seinen Töchtern Audi und Porsche Ende 2017 gegründet. Es soll ein Netz von öffentlich zugänglichen 350-kW-High-Power-Charging-(HPC-)Ladestationen für Elektroautos entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen aufgebaut werden. Das Netz wird 400 Stationen in 18 Ländern haben und bis 2020 aufgebaut sein. Der Abstand soll unter 120 Kilometer liegen.

IONITY-Ladestation, Bellinzona/Schweiz, 28.12.2019
IONITY-Ladestation, Bellinzona/Schweiz, 28.12.2019, Foto: Wolfgang Zängl

Die erste Station mit sechs 350-kW-Ladesäulen wurde im Dezember 2017 in Aabenraa in Dänemark eröffnet, die erste deutsche Station an der Raststätte Brohltal Ost im April 2018. Die Ladestationen haben den Combined Charging System (CCS Typ 2, der EU-Standard ist.
Die drei Lieferanten für die Ladesäulen sind Tritium, ABB und Porsche Engineering. (Aus: Wikipedia)

Die Lade-Illusion. Stefan Mayr schrieb im April 2018 in der SZ: „In wenigen Jahren werden Fahrer von Elektroautos entspannt von Porto bis Prag oder vom Nordkap bis Sizilien flitzen. Das Nachladen von Strom dauert kaum länger als das Tanken von Benzin. Beim Bezahlen gibt es kein Karten-Chaos mehr, das Fahrzeug erledigt das mit der Zapfsäule automatisch – ohne Bank, die Gebühren für den Geldtransfer kassiert. Und ein Porsche-Fahrer kann auch an den ‚Superchargern‘ des US-Herstellers Tesla laden. Ebenso selbstverständlich wird es sein, dass Tesla-Fahrer die Zapfsäulen des deutschen Anbieters Ionity ansteuern.“1
Darüber kann spekuliert werden, ob dieser Elektro-Himmel so eintreten wird – und wann.
Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, stellte die notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung fest: „Für die Akzeptanz der E-Fahrzeuge ist eine flächendeckende Infrastruktur enorm wichtig.“1 – „Wir haben bei der Elektromobilität kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebots- und Technologieproblem.“2

Die CO2-Bilanz dieser „flächendeckenden Infrastruktur“ geht in keine CO2-Bilanz der Elektroautos ein: Sie würde die ohnehin schon hohen Werte noch weiter erhöhen.

Strom-Konkurrenten, Strom-Trassen. Bei den konzerneigenen Tesla-Ladestationen können nur Teslas tanken. Die deutschen Autokonzerne BMW, Daimler, Ford und Volkswagen haben im Oktober 2018 das Gemeinschaftsunternehmen Ionity gegründet und wollen bis 2020 400 Ultra-Schnellladestationen in Europa installieren. Die Ionity-Eigentümer „verhandeln mit diversen anderen Autobauern, die sich ebenfalls beteiligen wollen. Nach SZ-Informationen gibt es Gespräche mit Volvo, Fiat-Chrysler, PSA/Opel, Jaguar Land Rover. Und Tesla. ‚Beide Seiten haben ihre Fühler ausgestreckt‘, sagt ein Vertreter eines deutschen Herstellers.“3
Für alle Elektroauto-Hersteller sind gemeinsam zu nutzende und äußerst leistungsstarke Ladstationen so wichtig wie Tankstellen für fossil betriebene Autos. Letztere können in jedem Fall in kürzerer Zeit und ungleich energiehaltiger betankt werden.
Dazu kommen diverse weitere Mitspieler. „Neben den direkten Wettbewerbern wollen auch Energieversorger und branchenfremde Investoren im Zukunftsmarkt Stromauto mitmischen. Interessiert sind Engie aus Frankreich, Enel aus Italien und Eon aus Deutschland, heißt es. Aber auch Fondsanbieter, die gerne in Infrastruktur investieren, haben angeklopft. Die Rede ist vom Rückversicherer Munich Re und anderen Versicherungskonzernen.“1

Konkurrenz zu Tesla. Innogy will an Europas Schnellstraßen im Abstand von 120 Kilometern Schnellladestationen mit sechs Ladesäulen installieren, die jeweils 350 Kilowatt abgeben können – das macht pro Station 2100 Kilowatt! Tesla lädt „nur“ mit 145 kW.
Bislang hat Innogy erst 20 Baugenehmigungen.

Brohltal-Ost (1): Erstmal kostenlos. Im April 2018 ging die erste Innogy-Ladestation in Betrieb. „An der Autobahn A 61 an der Raststätte Brohltal-Ost (Rheinland-Pfalz) darf man in den ersten vier Wochen sogar kostenlos laden. Wie viel Geld Ionity danach als Betreiber der Ladeparks verlangen wird, verrät (Ionity-Geschäftsführer Michael) Hajesch noch nicht. Aber er bestätigt, dass er neben den bisher bekannten Unternehmen Shell, OMV, Tank & Rast und Circle K zwei weitere Partner gewonnen hat, auf deren Grundstücken er sich einmieten wird: Q8 und MRH, einen der größten Tankstellenbetreiber Großbritanniens. (…) Seine Ladesäulen lässt er von drei Unternehmen bauen: ABB, Porsche und Tritium aus Australien. Die Stromstecker werden den europäischen CCS-Standard haben, dieser ist mit den Tesla-Fahrzeugen nicht kompatibel.“4

Brohltal-Ost (2): Der Schnelllade-Wahn. „An der Autobahnraststätte auf der A61 können nun bis zu sechs Elektroautos gleichzeitig mit bis zu 350 Kilowatt Strom tanken. Wegen der enormen Leistung des HPC-Ladeparks (High Power Charging) soll das nur wenige Minuten dauern. (…) Keines der heute erhältlichen Elektroautos kann die hohe Leistung nutzen. An den superschnellen Ionity-Ladern füllen sich ihre Batterien deutlich langsamer. (…) Das erste Elektroauto mit einer 800-Volt-Batterie wird der Porsche Mission E sein, der 2019 auf den Markt kommen soll. Vorher wird also keiner die vollen 350 Kilowatt an der Ionity-Station abrufen können.“5

Brohltal-Ost (3):  Internationale Zulieferer. „Die Ladesäulen in Dänemark stammen von Porsche Engineering. Die Technik an der A61 kommt vom australischen Anbieter Tritium. In Norwegen kommen Ladestationen von ABB zum Einsatz. Offen ist, wie viele dieser Schnelllade-Parks an den Autobahnen entstehen müssen, egal ob von Ionity oder anderen Anbietern.“5

Der Stecker-Krieg. „Die Ionity-Stationen setzen ausschließlich auf den sogenannten CCS-Anschluss. Ein Tesla in Europa mit seinem Typ-2-Anschluss kann zwar an seinem eigenen Supercharger mit bis zu 135 Kilowatt laden, mit dem CCS-Anschluss der Ionity-Ladesäulen ist er aber nicht kompatibel. Die vornehmlich japanischen Elektroautos und Plug-in-Hybride, die auf den dort entwickelten Standard Chademo setzen, bleiben bei Ionity ebenfalls ohne Anschluss. Chinesische Elektroautos spielen zwar in Europa noch keine Rolle, kochen mit ihrem GB/T-Anschluss aber ebenfalls ihr eigenes Süppchen.“
Ionity setzt auf den deutschen CCS-Stecker: „Dabei ist auch egal, ob das Auto mit 400 oder 800 Volt arbeitet und ab welcher Stromstärke die Batterie geschützt wird. Das Laden dauert dann länger, aber es funktioniert.“5

Schaltschränke und Trafos der IONITY-Ladestation, Bellinzona/Schweiz, 28.12.2019, Foto: Wolfgang Zängl
Schaltschränke und Trafos der IONITY-Ladestation, Bellinzona/Schweiz, 28.12.2019, Foto: Wolfgang Zängl

Reichen die Ladesäulen? Der Aufbau des 350-kW-Ladenetzes geht nur langsam voran: Ionity projektiert 400 Stationen, davon sind 28 in Betrieb und 44 im Bau. Es fehlen auch Messgeräte für diese 350-kW-Lader.6

Ionity auch in den Städten. Ionity will an Europas Fernstraßen 400 Ultraschnell-Stromtankstellen bis zum Jahr2020 errichten: derzeit sind 63 fertig. Nach der Fertigstellung plant sich Ionity-Chef Michael Hajesch eine Expansion in die Städte: In den Ballungszentr,en könnte man viel mehr Umsatz machen.7

Ionity lädt Porsche. Das erste Elektroauto von Porsche, der Taycan, braucht etwas mehr als drei Sekunden von Null auf 100 km/h und wird über 250 km/h Höchstgeschwindigkeit haben. „An den Ladesäulen des Ionity-Konsortiums (an dem auch etliche deutsche Hersteller beteiligt sind), saugt der Wagen binnen vier Minuten Strom für 1.100 Kilometer ins Fahrzeug, die Gesamtreichweite soll je nach Akku bis zu 500 Kilometer betragen.“8

VDA plus Ionity. VDA-Präsident Bernhard Mattes kündigte im November 2019 an, dass die Automobilindustrie mit Ionity  „sehr zügig ein Schnellladenetz entlang der Hauptverkehrsstrecken“ aufbaue. Bis Ende 2020 sollen es etwa 100 Ladestandorte in Deutschland sein.9

Öffentliche Subventionen für Ionity. Ionity wurde Ende 2017 von den deutschen Autokonzernen BMW, Daimler, Ford und dem VW-Konzern mit seinen Töchtern Audi und Porsche gegründet. „Sie haben für das von ihnen (mit bis zu 75 Prozent Subventionen) aufgebaute Ionity-Schnellladenetz vor wenigen Monaten die Preise fürs Tanken auf 79 bis 89 Cent pro kWh verteuert.“10

400 Stationen. Ionity will 400 HPC-Stationen europaweit installieren: mit bis zu sechs  Säulen und 350 kW. Derzeit sind 240 Stationen in 20 Ländern in Betrieb.11 Ionity hat aktuell 1160 Schnellladesäulen in Betrieb.12

Teurer Strom von Ionity. Eine Kilowattstunde Haushaltsstrom kostet derzeit im Schnitt 31 Cent. An öffentlichen Ladestationen und Schnellladestationen ist der Strom häufig wesentlich teurer. „So kostet beispielsweise bei Ionity, einem Betreiber zahlreicher Schnellladestationen an Autobahnen, eine Kilowattstunde 77 Cent.“13

  1. Mayr, Stefan, Energieschub, in SZ 20.4.2018 [] [] []
  2. Frahm, Christian, Lädt doch! in spiegel.de 30.5.2018 []
  3. Mayr, Stefan, Energieschub, in SZ 20.4.2018; Schaal, Sebastian, Jetzt kommen die Superlader, in www.wiwo.de 27.4.2018 []
  4. Mayr, Stefan, Energieschub, in SZ 20.4.2018; Hervorhebung WZ []
  5. Schaal, Sebastian, Jetzt kommen die Superlader, in www.wiwo.de 27.4.2018 [] [] []
  6. Lange Leitung, in SZ 23.2.2019 []
  7. Strom für Stadtautos, in SZ 22.3.2019 []
  8. Grünweg, Tom, Ausgebrannt, in spiegel.de 3.6.2019 []
  9. Mattes: Deutsche Automobilindustrie baut bis 2022 mindestens 15.000 neue Ladepunkte, PM VDA, Berlin 5.11.2019 []
  10. Resch, Jürgen, Game-Changer Tesla, in Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/2020, 17.6.2020 []
  11. Specht, Michael, Das sollten Sie wissen, bevor Sie sich ein Elektroauto kaufen, in spiegel.de 216.7.2020 []
  12. Hage, Simon, Hesse, Martin, Jagd auf Tesla, in Der Spiegel 38/18.7.2020 []
  13. Nefzger, Emil, Kostenvorteil von E-Autos schmilzt: Tanken ist billiger als laden, in spiegel.de 25.92020 []
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