Elektroauto Chronik eines Irrtums

Carbon

C

Aktualisiert 13.2.2020

BMW präsentiert „project i“. Im Juli 2010 stellte BMW sein neues Elektrofahrzeug mit Carbon-Karosserie vor. Da die Gewichtsfrage beim Elektroauto aufgrund der schweren Akkulast von Bedeutung ist, wird der sehr energieaufwendige Werkstoff Carbon (50 Prozent leichter als Stahl) eingesetzt. Das Carbon wird mit umweltfreundlicher Wasserkraft in Kanada produziert werden. Problematisch ist die weitere Verwendung: Es gibt kein befriedigendes Recycling, siehe unten. Das „hochedle“ Material Carbon in den Karosserien der BMW i-Serie wird bis heute nicht recycelt, sondern „thermisch wiederverwertet“, vulgo: verbrannt – oder zu minderen Vliesstoffen umgewandelt.
Vergleiche im Lexikon: Recycling

SGL Carbon. Der Vorstandsvorsitzende Robert Koehler: „Wir sind der am breitesten aufgestellte Hersteller, der sich mit Grafit und Carbon beschäftigt, und der einzige Hersteller von Carbonfasern in Europa.“ ((Lamparter, Dietmar H., Volle Ladung, in Die Zeit 29.7.2010)) – SGL Carbon baute mit BMW bei Seattle eine Fabrik für Kohlenstofffasern. „Die Herstellung dieses ‚hochedlen Materials‘, das in riesigen, 220 Meter langen Öfen bei bis zu 1400 Grad gebacken werde, sei äußerst energieintensiv, erläutert Betriebswirt Koehler die Standortwahl. Der Strom koste in Seattle aber nur ein Drittel des deutschen Preises – und stamme komplett aus Wasserkraft. Partner BMW lege großen Wert auf Nachhaltigkeit.“2
Die carbonisierten Synthetikfasern werden dann in das bayerische Wackersdorf transportiert und zu hauchdünnen Stoffbahnen vernäht. Von dort kommen sie nach Landshut: „Spezialharz wird in die übereinandergeschichteten Bahnen gepresst, diese werden in Form gebracht und härten anschließend aus.“3
Der Kohlenstofffaserverbund (CFK) wiegt die Hälfte von Stahl und 70 Prozent von Aluminium. Ein Kilo CFK kostet etwa das 15-Fache der gleichen Menge Aluminium. „CFK-Bauteile für Autos – Dächer, Kotflügel, Achsteile – fertigt SGL Carbon schon länger. Doch BMW baut nun erstmals eine komplette Fahrgastzelle für sein Megacity Vehicle.“3

Christian Wüst widmete schon im Dezember 2010 im Spiegel einen Artikel der Carbon-Karosserie. Das BMW-Projekt Megacity Vehicle (MCV) „hat einen Leichtmetallrahmen im Wagenboden und einen Aufbau aus mit Carbonfasern verstärktem Kunststoff (CFK). Das mattschwarze Material ist ein Baustoff von höchster Güte, in seiner chemischen Struktur dem Diamanten verwandt, robuster als Stahl – und nicht einmal halb so schwer.“4 Damit wird die Karosserie des BMW-Elektroautos um 250 bis 300 Kilogramm leichter als die eines konventionell gebaute – und damit kann das Mehrgewicht der Batterien kompensiert werden. „CFK ist 50-mal so teuer wie Stahl. Ein Karosserieteil aus Stahlblech kostet in seiner endgültigen Form etwa vier Euro pro Kilogramm, bei CFK sind es mindestens 200 Euro. Um den genannten Leichtbaueffekt zu erzielen, wird BMW den Carbonwerkstoff jedoch in sehr großen Mengen einsetzen müssen, pro Fahrzeug durchaus 150 bis 200 Kilogramm.“4

VW steigt ein. Im März 2011 stieg der VW-Konzern mit acht Prozent bei SGL Carbon ein – nicht unbedingt zur Freude von BMW.

Susanne Klatten und SLG Carbon. Die BMW-Hauptaktionärin Susanne Klatten ist seit 2009 mit knapp 28 Prozent größte Anteilseignerin bei SLG Carbon und seit 2013 auch SGL-Aufsichtsratschefin. Fazit „Die eigentliche Wachstumsstory von SGL Carbon, für die auch Susanne Klatten als BMW-Aktionärin steht, ist eng mit der Autoindustrie verbunden. Doch der rasche und umfassende Einsatz von Kohlefasern im Fahrzeugbau mag nicht gelingen. So betreibt SGL zwar mit BMW ein Joint Venture, das spezielle Verfahren zur Verarbeitung von Kohlefasern entwickelt und ausschließlich BMW beliefert. Doch das aus Kohlefaser gefertigte Elektrofahrzeug ‚i3‘ verkauft sich schlecht, die drei Milliarden Euro Entwicklungskosten haben sich bis heute nicht rentiert. Einen angedachten ‚i5‘ aus Kohlefaser wird es nicht geben. Nun sollen neue Projekte mit anderen Autoherstellern den Durchbruch bringen.“5

BMW i3: Sein Chassis besteht aus Aluminium, die Fahrgastzelle aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK). Im Werk von BMW und SGL werden jährlich 3000 Tonnen des Hightech- Materials hergestellt, rund zehn Prozent der weltweiten CFK-Produktion. „Der Grund für den Produktionsstandort Moses Lake sind vor allem die deutlich geringeren Energiekosten, die gerade einmal ein Sechstel der hiesigen Kosten betragen. Zudem wird der gigantische Strombedarf der bis zu 1400 °C heißen Öfen für die Faserherstellung zu 100 Prozent mit Wasserkraft gedeckt.“6 Etwa 50.000 der nur 0,007 mm dünne Carbonfaser werden zum „Roving“-Faden versponnen. Mit dem Schiff gelangen die Faserrollen nach Wackersdorf. Hier werden die Carbonfäden „zu textilen Gelegen weiterverarbeitet, die das Ausgangsmaterial für die Produktion der CFK-Teile sind. Die Presswerke in Landshut und Leipzig stellen aus den angelieferten Textilgelegen die CFK-Komponenten für die BMW i-Modelle her, die Endmontage erfolgt in Leipzig. Das Kohlefasergelege wird zunächst zugeschnitten und durchläuft den sogenannten Preform-Prozess. Ein spezielles Heizwerkzeug verleiht den mehrlagigen Textilmatten ihre stabile Form. Mehrere dieser Preform-Rohlinge werden dabei zu einem größeren Bauteil zusammengefügt. Dem folgt der nächste wichtige Produktionsschritt: das Injizieren des Harzes unter hohem Druck, auch RTM genannt. Erst durch die Verbindung des Harzes mit den Carbonfasern und das darauffolgende Aushärten erhält der CFK-Werkstoff seine außergewöhnlichen Materialeigenschaften wie die hervorragende Steifigkeit. Anschließend kommen die CFK-Komponenten in Presswerkzeuge, die mit einer Kraft von bis zu 4500 Tonnen zudrücken.“6

Zum Produktionsprozess aus der Fachzeitschrift Plastikverarbeiter: „Allein im Werk Leipzig wurden für die Produktion von BMW-i-Autos rund 400 Mio. Euro in neue Strukturen und Anlagen investiert und 800 neue Arbeitsplätze geschaffen. (…) Insgesamt hat das Unternehmen rund 600 Mio. Euro in das BMW i-Produktionsnetzwerk investiert, über 1500 Arbeitsplätze sind dadurch entstanden. (…) Die innovative Architektur des i3 besteht aus zwei Elementen: dem fahraktiven, aus Aluminium gefertigten Drive-Modul, in das der Antrieb, das Fahrwerk, der Energiespeicher sowie die Struktur- und Crashfunktionen integriert sind, und dem Life-Modul aus carbonfaserverstärktem Kunststoff, das die Fahrgastzelle bildet. (…) Das Life-Modul (Fahrgastzelle) des BMW i3 besteht hauptsächlich aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK). Die Herstellung der Carbonfasern aus Polyacrylnitrilfasern erfolgt in dem Joint Venture SGL Automotive Carbon Fibers (SGL ACF) in Moses Lake, USA. Dazu werden sämtliche Elemente der Faser in einem komplexen, mehrstufigen Prozess gasförmig abgespalten, bis nur noch eine aus nahezu reinem Kohlenstoff bestehende Faser mit stabiler Graphitstruktur vorliegt. Diese ist lediglich 7 Mikrometer (0,007 mm) dünn, ein menschliches Haar misst im Vergleich dazu rund 50 Mikrometer (0,05 mm). Für die Verwendung im Automobilbereich werden anschließend etwa 50.000 dieser Einzelfilamente zu sogenannten ‚rovings‘ oder ‚heavy tows‘ zusammengefasst und für die Weiterverarbeitung aufgewickelt. (…) Am zweiten Standort des Joint Ventures, im Innovationspark Wackersdorf, werden die in Moses Lake produzierten Faserbündel im industriellen Maßstab zu leichten textilen Gelegen weiterverarbeitet. (…) Gelege mit verschiedenen Faserausrichtungen werden dann in mehreren Lagen und unterschiedlichen Orientierungen übereinander zu Gelegestapeln, sogenannten Stacks, angeordnet und anschließend zugeschnitten. Diese bilden das Ausgangsmaterial für die Herstellung von CFK-Bauteilen und CFK-Komponenten in den BMW-Werken in Landshut und Leipzig. (…) Nach dem Konfektionieren und Vorformen folgt der nächste Prozessschritt: das Harzen unter Hochdruck nach dem RTM-Verfahren (Resin Transfer Moulding). Dabei wird in die Preform-Rohlinge unter hohem Druck flüssiges Harz injiziert. Erst durch die Verbindung der Fasern mit dem Harz und das anschließende Aushärten erhält das Material seine Steifigkeit und damit seine hervorragenden Eigenschaften. Die Pressen arbeiten nach genau definierten, eigenentwickelten Zeit-, Druck- und Temperaturparametern, bis sich das Harz mit dem Härter vollständig verbunden hat und ausgehärtet ist.“7

Schnelleres Aushärten mit Lösungsmittel und Hitze. „Um die Aushärtezeit für die Großserienproduktion des BMW i3 zu minimieren, hat BMW den Prozess extrem beschleunigt. So kann ein deutlich weiterentwickelter Klebstoff jetzt nur noch 90 s nach dem Auftragen auf ein Bauteil bearbeitet werden, bevor er Haftung aufbaut. Nach anderthalb Stunden ist er ausgehärtet und hat seine volle Festigkeit erreicht. Diese Eigenschaft entspricht schon einer zehnfachen Beschleunigung eines herkömmlichen Klebeprozesses. Um nun die Aushärtezeit weiter bis in den einstelligen Minutenbereich zu reduzieren, hat BMW einen zusätzlichen thermischen Prozess entwickelt. Dafür werden bestimmte Heftstellen an den zu klebenden CFK-Teilen zusätzlich aufgeheizt, um den Aushärteprozess noch weiter zu beschleunigen.“7
Und wo bleiben die Lösungsmittel?

SGL Carbon schwächelt. Im Sommer 2019 gab es „unerwartete Chaostage“ (SZ) bei SGL Carbon in Wiesbaden. Der Vorstandsvorsitzende Jürgen Köhler verließ das Unternehmen, vermutlich nicht freiwillig. Das Neugeschäft mit Windanlagen, in das SGL im Juli 2019 eingestiegen war, wurde falsch eingeschätzt und beschert einen Millionenverlust im hohen einstelligen Bereich.8

700 Millionen Euro für US-Werk. Das US-Werk von BMW zur Carbon-Herstellung kostete 700 Millionen Euro und wurde nur für die Modelle i3 und i8 genutzt.9

Neuer SGL Carbon-Chef. Nachdem Jürgen Köhler im August 2019 wegen der unbefriedigenden Geschäftsentwicklung zurückgetreten war, folgte nun im Februar 2020 Torsten Derr.10

Fußnoten und Quellen:
  1. Aktualisiert 13.2.2020

    BMW präsentiert „project i“. Im Juli 2010 stellte BMW sein neues Elektrofahrzeug mit Carbon-Karosserie vor. Da die Gewichtsfrage beim Elektroauto aufgrund der schweren Akkulast von Bedeutung ist, wird der sehr energieaufwendige Werkstoff Carbon (50 Prozent leichter als Stahl) eingesetzt. Das Carbon wird mit umweltfreundlicher Wasserkraft in Kanada produziert werden. Problematisch ist die weitere Verwendung: Es gibt kein befriedigendes Recycling, siehe unten. Das „hochedle“ Material Carbon in den Karosserien der BMW i-Serie wird bis heute nicht recycelt, sondern „thermisch wiederverwertet“, vulgo: verbrannt – oder zu minderen Vliesstoffen umgewandelt.
    Vergleiche im Lexikon: Recycling

    SGL Carbon. Der Vorstandsvorsitzende Robert Koehler: „Wir sind der am breitesten aufgestellte Hersteller, der sich mit Grafit und Carbon beschäftigt, und der einzige Hersteller von Carbonfasern in Europa.“ ((Lamparter, Dietmar H., Volle Ladung, in Die Zeit 29.7.2010 []

  2. Lamparter, Dietmar H., Volle Ladung, in Die Zeit 29.7.20101 []
  3. Lamparter, Dietmar H., Volle Ladung, in Die Zeit 29.7.2010 [] []
  4. Wüst, Christian, Wundergarn aus Wackersdorf, in Der Spiegel 51/20.12.2010 [] []
  5. Kewes, Tanja, Die Bewährungsprobe SGL Carbon, in handelsblatt.com 17.5.2017 []
  6. Lidl, Alexander, Leise Revolution, in autozeitung.de 11.7.2014 [] []
  7. BMW startet Serienproduktion des i3 mit CFK-Karosserie, in www.plastverarbeiter.de 24.9.2014 [] []
  8. Ritzer, Uwe, Voll verplant, in SZ 20.8.2019 []
  9. BMW stellt Elektroauto i3 ein, in spiegel.de 17.9.2019; Hengstenberg, Michael, Fataler Frühstart, in spiegel.de 18.9.2019 []
  10. DPA, Mission in Wiesbaden, in SZ 11.2.2020 []
Elektroauto Chronik eines Irrtums

Chronologie

Anhang