Elektroauto Chronik eines Irrtums

Juli 2019

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Aktualisiert 26.9.2019

Keine Kundenanfragen für batterieelektrische Fahrzeuge (BEV). Ende Juni 2019 erschien bei Forbes ein Artikel von Michael Taylor zur Position von BMW zur Elektromobilität.1 Der Entwicklungsvorstand von BMW, Klaus Fröhlich, äußerte dort: „Es gibt keine Kundenanfragen für BEVs. Keine. (…) Wenn wir ein großes Angebot haben, einen großen Anreiz, könnten wir Europa überfluten und eine Million (BEV) Autos verkaufen, aber die Europäer werden diese Dinge nicht kaufen.“ BEVs seien für China und Kalifornien bestimmt. Der europäische Kunde fände keine Infrastruktur vor, und der Weiterverkauf sei ungewiss. Fröhlich: „Die Europäer kaufen ein BEV nur sehr ungern, weil die Europäer weniger Autos in der Garage haben als ein BMW-Kunde in den USA.“ In Deutschland sei die staatliche Unterstützung auch geringer als etwa in Norwegen, Schweden oder den Niederlanden. „Eine bestmögliche Annahme von 30 Prozent des elektrifizierten Umsatzes bis 2025 bedeutet, dass mindestens 80 Prozent  unserer Fahrzeuge einen Verbrennungsmotor haben werden.“
In welt.de äußerte Klaus Fröhlich, dass sein Zitat mit der mangelnden Nachfrage aus dem Zusammenhang gerissen und sehr verkürzt dargestellt worden sei: „Klar ist: Die Elektromobilität wird kommen. (…) Wir sind überzeugt: Die Nachfrage wird steigen, daher auch unser beschleunigtes Angebot an elektrifizierten Fahrzeugen.“2

spiegel.de testet den Audi e-tron. Die Basisversion beginnt bei 81.900 Euro; der Testwagen mit Extras kostet 105.345 Euro. Die Testfahrt geht über 442 Kilometer von Hamburg nach Gießen. Audi gibt 417 Kilometer Reichweite an. Bei 80 Prozent Akku-Ladung rät das Navi zu zwei Ladepausen mit insgesamt zwei Stunden und 30 Minuten – bei einer Fahrtzeit von 6,5 Stunden. Die Akkus haben eine Kapazität von 95 kW und wiegen 700 Kilogramm, wodurch der e-tron auf 2600 Kilogramm Gesamtgewicht kommt. Die Rekuperation (Energie-Rückgewinnung durch Bremsvorgänge) funktioniert vor allem in der Stadt, auf der Autobahn dagegen nicht. Den Verbrauch gibt Audi nach WLTP mit 22,6 bis 26,2 kWh auf 100 Kilometer an. Der spiegel.de-Test über zwei Wochen ergab 30,6 kWh. Testfahrer Christian Frahm hat diverse Probleme mit zu kurzen Ladekabeln, dem Ladestecker (muss per Notentriegelung abgezogen werden) und den Ladestationen („Ladevorgang abgebrochen“).3

Hoffnung Lithium. Sehr guter Film in 3SAT am 3.7.2019, leider nicht in 45-Minuten-Länge abrufbar

Moia darf doch mit 500 Bussen fahren. Im April 2019 entschied die erste gerichtliche Instanz aufgrund der Klage eines Taxiunternehmers, dass Moia, eine VW-Tochter, nur 200 E-Busse in Hamburg einsetzen darf. Im Eilverfahren entschied das Oberverwaltungsgericht, dass Moia nun doch 500 E-Busse einsetzen darf.4

Mit dem Elektroauto zur Klimademo. „Von dem Standort aus steuert Volkswagen unter anderem sein Carsharing-Angebot ‚We Share‘, das kürzlich in Berlin mit 1500 elektrischen Golf-Fahrzeugen gestartet ist, nächstes Jahr sollen 500 e-ups hinzukommen. Mit Kampfpreisen von 0,19 Euro pro Minute und einer großen Werbeaktion wirbt der Autobauer um Kunden für seine per App ausleihbaren Elektroautos: An Bushaltestellen und Litfaßsäulen hängen überall in der Stadt Plakate. Darauf zu sehen sind beispielsweise eine Frau und ein Mädchen, daneben die Aufschrift: ‚Endlich können wir die Kinder zur Klimademo fahren.'“5

Städte wehren sich. Der stellvertretende Bürgermeister von Paris, Emmanuel Gregoire, zum E-Scooter-Hype: „Wir müssen den Mythos der grenzenlosen Freiheit beenden. Hier  herrscht Anarchie.“6 in Stockholm und Paris gab es Unfälle mit dem Elektro-Scooter mit Todesfolge. Stockholm hat deswegen die E-Scooter aus der Altstadt Gamla Stan verbannt. In Paris bildet sich der Widerstand: Derzeit gibt es etwa 20.000 E-Scooter; bis zum Jahresende könnten es 40.000 werden. Wildes Parken von E-Scootern kostet in Lissabon demnächst bis  zu 300 Euro. In München wurden in den letzten Tagen mehr als 20 betrunkene Elektro-Scooter-Fahrer erwischt. In Wien gilt eine Motorbegrenzung von 600 Watt, auf den Gehwegen wird ein Parkverbot erwogen.6

Elektro-Scooter (1): Milliardengeschäft – und Umweltbelastung. Das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) schätzt den globalen Verleihmarkt bis zum Jahr 2025 auf 40 bis 50 Milliarden Dollar. Eine McKinsey-Studie geht bis 2030 für Europa von bis zu 150 Milliarden Dollar Umsatz und weltweit von bis zu 500 Milliarden Dollar aus. „Mit dem steigenden E-Scooter-Anteil am Verkehr wächst nicht nur die Sorge vor Unfällen. Zunehmend infrage gestellt wird auch, ob E-Scooter tatsächlich eine umweltfreundliche Mobilitätsalternative darstellen. Laut BCG-Studie hat ein E-Roller im Schnitt eine Lebensdauer von drei Monaten. Das liege daran, dass die Roller nicht für den Verleih, sondern den Privatgebrauch konzipiert worden seien. Starker Gebrauch, grober Umgang mit den Rollern und auch Vandalismus würden die Haltbarkeit dieser E-Scooter reduzieren, analysierte BCG. Umweltschützer stellen zudem die häufig verwendeten Lithium-Ionen-Batterien in den Fokus. Nicht nur die Gewinnung der Rohstoffe für die Akkus sei belastend für die Umwelt, auch die Entsorgung sei schwierig.“7

Elektro-Scooter (2): Pariser Erkenntnisse. Die Agentur 6T in Paris befragte in einer großen Studie in Paris, Lyon und Marseille 4300 Nutzer des Verleihers Lime über die Nutzung der hierzulande „Trottinettes“ genannten Elektro-Scooter. Die zentrale Frage war, ob denn durch die Nutzer der E-Scooter weniger Autos benützt würden. „Die deutliche Antwort lautet: Nein! Fast die Hälfte der Befragten wäre ohne Trottinette zu Fuß gegangen, rund ein Drittel hätte den öffentlichen Nahverkehr benutzt, knapp zehn Prozent das Fahrrad genommen – und nur acht Prozent hätten ein Taxi oder das eigene Auto benutzt. Im Gegensatz zu den Versprechungen der Anbieter der E-Scooter, nimmt durch die Nutzung der Gefährte der Autoverkehr also nicht entscheidend ab.“8

Elon Musk geht es zu langsam. Der Tesla-Chef beschwerte sich im Juli telefonisch bei den Bürgermeistern von Berlin und Hamburg, weil die Zulassung neuer Teslas zu lange dauere (Hamburg im Schnitt 5,9 Tage, Berlin bis zu 15 Tage). „Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll schon einen derartigen Anruf des Tesla-Chefs erhalten haben.“9

VW und Ford kooperieren. Bereits auf der Detroiter Automesse im Januar 2019 hatten VW und Ford eine Kooperation angekündigt. VW-Chef Herbert Diess und Ford-Chef Jim Hackett gaben nun am 12.7.2019 die Zusammenarbeit bei Elektroautos und Roboterfahrzeugen bekannt. Ford wird Hunderttausende Fahrzeuge für Europa gegen eine Lizenzgebühr auf der E-Plattform Modularer E-Antriebs-Baukasten (MEB) von VW herstellen. VW beteiligt sich mit 2,6 Milliarden Dollar bei Fords Tochter Argo AI: eine Milliarde Dollar an Finanzmitteln, dazu bringt VW seine Tochter AID für autonomes Fahren ein mit 1,6 Milliarden Euro. Der Sitz von AID in München wird auch Sitz der Europazentrale von Argo AI.10

Neues Grundrecht. VW-Managerin Silke Bagschik, zuständig für Vertrieb und Marketing der VW-ID-Baureihe: „Wir brauchen ein Recht auf Laden, zuhause und am Arbeitsplatz ebenso wie im öffentlichen Raum.“11

Prof. Günther Schuh, Konstrukteur des StreetScooter und e.Go im SZ-Interview: „Es wird in der neuen Mobilität ohnehin viel behauptet, was naturwissenschaftlich weder Hand noch Fuß hat. Dass morgen die Batterie viel billiger sein wird und damit auch die Elektroautos. Die ganze Autoindustrie richtet sich darauf aus. Dabei sind wir gerade mal so weit, dass nicht mehr behauptet wird, man könne morgen mit einem Elektroauto zum selben Preis genauso weit und schnell fahren wie mit einem Verbrenner. Das wird nicht passieren. (…) Es gibt einfach einen zu großen Unterschied in der Leistungsdichte zwischen der Feststoffbatterie und dem Diesel. Das ist reine Physik. Wo ich heute einen 50-Liter-Dieseltank herum karre, müsste ich selbst bei einem besseren Wirkungsgrad immer noch eine mehr als 700 Kilo schwere Batterie in einem Elektroauto haben. Das kann weder ökologisch noch ökonomisch gut sein. (…) Der Kunde will keine Elektroautos. Es gibt für ihn keine Notwendigkeit.“12

Münster-Mauscheleien. Zu den dubiosen Umständen der Wahl von Münster als Standort der Batterieforschung siehe: Deutsche Batteriegeschichte

TÜV und Dekra diktieren Bedingungen für E-Autos. TÜV und Dekra bestimmen die Normen, wann ein Auto – auch ein Elektroauto – als tauglich für Führerscheinprüfungen gilt. Zum Beispiel: Der „Sitzplatz des Prüfenden“ benötigt eine „Mindestkniefreiheit“ von mindestens 200 mm. Dazu „muss die Rücklehne des Vordersitzes in einem Winkel von 25 Grad +/- 3 Grad zur Senkrechten (Winkel W41) eingestellt sein. Etc.13 Wegen Beengung scheidet der Renault Zoe aus, ebenso der BMW i3: Seine Hintertüren können nur bei geöffneten vorderen Türen aufgemacht werden: Der Prüfer könnte gefährdet sein. Die Bedingungen des TÜV und der Dekra schafften nur der VW E-Golf, der Tesla S und der Nissan Leaf Zero.14

BAIC steigt bei Daimler ein. Der chinesische Autohersteller Beijing Automotive Industry Holding Co. Ltd. (BAIC Group) baut seit längerem in Peking die Langversionen der E- und C-Klasse von Daimler.15 Im Juli 2019 beteiligte sich BAIC mit rund 2,5 Milliarden Euro bei Daimler und wird dort zum fünftgrößten Einzelaktionär.16 „Seit dem Jahr 2018 ist Daimler darüber hinaus mit einem Anteil von 3,01 Prozent an BAIC BluePark New Energy Technology Co. Ltd. beteiligt, einem Hersteller von Elektrofahrzeugen für China.17

Bosch und Daimler parken automatisch. Im Parkhaus des Mercedes-Benz-Museums funktioniert es schon: Seit 2017 wurde mit zwei Fahrzeugen das automatische Parken geübt. Nun hat Daimler die Behörden-Genehmigung: Besucher steigen an der Einfahrt des Parkhauses aus ihrem Pkw aus, klicken auf ihr Handy, und das Fahrzeug sucht sich einen Parkplatz. Ein zweiter Klick, und das Fahrzeug kommt. Die vollautomatische und platzsparende Parkiererei (ohne Türöffnen) soll ab 2020 auch an die Betreiber von anderen Parkhäusern verkauft werden.18

Filmkomponist komponiert für BMW. Seit dem 1.7.2019 gilt in der EU die Verordnung, dass Elektroautos unter 20 km/h ein akustisches Warnsignal abgeben müssen. Filmkomponist Hans Zimmer hat für die BMW-Serie Vision M Next den Sound dazu komponiert.19

Tesla wie gewohnt in den Miesen. Im 1. Quartal 2019 hatte Tesla einen Verlust von 718 Millionen Dollar, im 2. Quartal von 408 Millionen Dollar. Daraufhin ging die Tesla-Aktie um mehr als zehn Punkte in den Keller. Elon Musk warnte die Anleger vor den Quartalen 1 und 2 im Jahr 2020: Diese würden „hart“ werden, der Rest des Jahres 2020 werde dann aber „unglaublich“.20

„Wohlfühlpaket für E-Autofahrer“. So titelte spiegel.de zu den Subventionen für Elektromobilität der Bundesregierung vom 31.7.2019: „Fahrer von elektrischen Dienstwagen müssen weiterhin nur 0,5 Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern – die Regelung wird bis 2030 verlängert. Fahrer von anderen Dienstwagen müssen ein Prozent des Listenpreises versteuern. – Das Finanzministerium signalisierte Regierungskreisen zufolge auch, dass es dafür offen sei, den geldwerten Vorteil auf 0,25 Prozent des Listenpreises zu senken. – Die Steuerbefreiung von Diensträdern wird bis 2030 verlängert, sie gilt für herkömmliche Fahrräder und für E-Bikes. – Der Wert des Stroms, mit dem Fahrer von E-Autos ihren Wagen beim Arbeitgeber aufladen, soll bis 2030 steuerfrei bleiben. – Eine Sonderabschreibung von 50 Prozent im Jahr der Anschaffung soll kleine und mittelgroße Elektro-Lieferfahrzeuge attraktiver machen und bis 2030 gelten. – ÖPNV-Jobtickets des Arbeitgebers für Beschäftigte können künftig mit 25 Prozent pauschal versteuert werden, die Anrechnung auf die Entfernungspauschale entfällt.“21

Elektrische „Alpine Pearls“. Die „Alpine Pearls“, eine Vereinigung autofreier Alpenorte, organisierte einen Elektroauto-Konvoi von sieben Fahrzeugen, der in Cogne im italienischen Nationalpark Gran Paradiso startete und von 4.7.2019 bis 20.7.2019 durch Orte in Italien, Frankreich, Schweiz, Liechtenstein, Österreich und Slowenien fuhr.22

  1. Taylor, Michael, BMW Says European Customers Aren’t Demanding EVs, Forbes 27.6.2019 []
  2. Vetter, Philipp, BMW-Entwicklungschef bemüht sich um Schadensbegrenzung, in welt.de 1.7.2019 []
  3. Frahm, Christian, Das Warten hat kein Ende, in spiegel.de 1.7.2019 []
  4. DPA, Freie Fahrt für Moia, in SZ 3.7.2019 []
  5. Kugoth, Jana, VW eröffnet „We Campus“am Alexanderplatz, in tagesspiegel.de 5.7.2019 []
  6. Städte mobilisieren gegen E-Scooter, in orf.at 10.7.2019 [] []
  7. Städte mobilisieren gegen E-Scooter, in orf.at 10.7.2019; Hervorhebung WZ []
  8. Krohn, Knut, Erster tödlicher Unfall überschattet große Umfrage zur Nutzung der E-Scooter, in rp-online.de 11.6.2019; Hervorhebung WZ []
  9. Elon Musk rüffelt Bürgermeister von Berlin und Hamburg, in spiegel.de 12.7.2019 []
  10. VW und Ford weiten Allianz aus, in spiegel.de 12.7.2019; Volkswagen vertieft Kooperation mit Ford, in SZ 12.7.2019 []
  11. Kacher, Georg, Alles auf E, in SZ 13.7.2019 []
  12. Kinkel, Christina, „Der Kunde will keine Elektroautos“, in SZ 11.7.2019 []
  13. Munsberg, Hendrik, TÜV und Dekra bremsen E-Autos aus, in SZ 22.7.2019 []
  14. Munsberg, Hendrik, TÜV und Dekra bremsen E-Autos aus, in SZ 22.7.2019; vgl. auch Munsberg, Hendrik, Weniger Kniefreiheit, in SZ 23.7.2019 []
  15. Büschemann, Karl-Heinz, Giesen, Christoph, Siemens unter der Haube, in SZ 24.4.2014 []
  16. Mayr, Stefan, Der Zweite aus China, in SZ 24.7.2019 []
  17. Kapitalbeteiligung der BAIC Group, https://www.daimler.com/investoren/berichte-news/finanznachrichten/20190723-baic.html, 23.7.2019 []
  18. Mayr, Stefan, Aussteigen und fertig, in SZ 24.7.2019 []
  19. Späth, Sebastian, Brumm-brumm, in Der Spiegel 30/20.7.2019 []
  20. von der Hagen, Hans, Tesla schockiert die Anleger, in SZ 26.7.2019 []
  21. Regierung beschließt Wohlfühlpaket für E-Autofahrer, in spiegel.de 31.7.2019 []
  22. Im Elektroauto durch die Alpen, in www.cipra.org 31.7.2019 []
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