Elektroauto Chronik eines Irrtums

Dezember 2020

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Aktualisiert 3.1.2021

Grünheide: Umweltschützer in Brandenburg alarmiert. Die Geschäftsführerin des NABU Brandenburg, Christine Schröder, erklärte am 1.12.2020, Widerspruch gegen Teslas weitere Waldrodungen von 82,8 Hektar einzulegen und Akteneinsicht zu fordern. Die Grüne Liga Brandenburg mit Landesgeschäftsführer Michael Ganschow will ebenfalls Klage gegen die Zulassung der Rodungen durch das Landesamt für Umwelt (LfU) einreichen. Die Rodungen wurden vom LfU am 30.11.2020 genehmigt.1

Größte Gigafactory in Grünheide. Ganz nebenbei erklärt Elon Musk, in Grünheide die größte Gigafactory für Batterien zu bauen. Die Kapazität von 100 GWh soll für über eine Million Elektroautos reichen. „Elon Musk spricht bereits über den Ausbau von Grünheide auf 250 GWh.“2
Die Salami-Taktik von Tesla in Grünheide: Zunächst wird für die Genehmigung eine Produktion von 150.000 Teslas der Modelle 3 und Y angegeben. Im Januar 2020 wird eine endgültige Ausbaustufe von 500.000 vorgestellt. Die Gigafactory in Grünheide soll zunächst 100 GWh, später doch eher 250 GWh haben. Die Wasserproblematik in diesem wasserarmen Gebiet? Spielt für die brandenburgischen Behörden plötzlich keine Rolle mehr. Die Politiker und Umweltbürokraten dort sind einem global agierenden Konzern wie Tesla hoffnungslos unterlegen.
Vergleiche: Tesla Berlin/Brandenburg

Rodung von Gericht unterbrochen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt an der Oder hat auf Antrag vom Naturschutzbund Brandenburg (Nabu) und der Grünen Liga am 8.12.2020 die Fällung von weiteren 82,9 Hektar Wald gestoppt. Das Landesumweltamt hatte eine Vorerlaubnis erteilt. Im Gerichtsbeschluss steht: „Da davon auszugehen ist, dass die Rodung der 82,9 Hektar Waldfläche nur wenige Tage in Anspruch nehmen wird, würde ein weiteres Zuwarten mit der vorliegenden Entscheidung deshalb praktisch zu einer Erledigung des vorliegenden Rechtsstreits führen.“3

NABU will Arten schützen. Den Naturschützern geht es um die bedrohten Arten Zauneidechse und Schlingnatter, die in dem zu fällenden Waldstück leben. Christiane Schröder vom Brandenburgischen NABU verweist darauf, dass es üblicherweise zwei Jahre dauert, um die Arten zu finden und umzusetzen: Auf der Tesla-Baustelle sei dies in zwei Monaten erfolgt. Schröder: „Das ist vollkommen unmöglich.“4 Die Rodung der über 80 Hektar Wald würde mit der bereits siebten Ausnahmegenehmigung ermöglicht. Der NABU stellte fest, dass bereits 30 Prozent der Baukosten einer Gigafabrik verbaut seien: „In fast schon blindem Aktionismus werden Zulassungen erteilt.“4

Übler denn je: das Wasserproblem. In der ersten Ausbaustufe hat die Tesla-Gigafactory in Grünheide den Wasserverbrauch einer Stadt mit 40.000 Einwohnern. „Mit der zweiten und dritten Ausbaustufe kann sich dieses Volumen jedoch mehr als verdoppeln. Dann müsste das Wasser aus anderen Gegenden besorgt werden.“4 Und nun kommt die – am Anfang bei der Vorstellung der Pläne völlig unbekannte Idee – der Tesla-Akkuproduktion dazu. Mit der endgültigen Baugenehmigung wird bis Ende Dezember 2020 gerechnet, dann wird auch noch mit Arbeiten an Samstagen, Sonntagen und bis in die Nacht zu rechnen sein.5

Gestoppt, erlaubt, gestoppt. Nach dem Eilantrag von NABU und Grüner Liga erfolgte am 8.12.2020 ein Stopp der Rodungsarbeiten durch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), den es aber kurz danach kippte. Dann verhängte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nach neuerlicher Beschwerde von NABU und Grüner Liga am 10.12.2020 einen weiteren Rodungsstopp.6

Unverständlicher Hype um Tesla. Hierzu ein Beitrag von Sabine Beikler: So übergibt Tesla in Berlin Fahrzeuge an die Kunden 7

Baustopp: Tesla hat keine Sicherheitsleistung gezahlt. Das brandenburgische Landesamt für Umwelt hat eine Forderung über 100 Millionen Euro an Tesla: Dieser Bescheid kam am 17.12.2020. Die Summe soll eventuelle Rückbaukosten abdecken. Tesla arbeitet derzeit mit der 7. Ausnahmegenehmigung. Nun darf Tesla den Einbau von Maschinen in der Lackiererei und die Rodung des Waldes nicht weiterbetreiben, bevor nicht die 100 Millionen Euro bezahlt sind.8

Teilerfolg. Das OVG Berlin-Brandenburg folgte am 18.12.2020 der Argumentation von Nabu und Grüner Liga: In deren Eilantrag wurde das „Umsiedlungsprogramm“ von Tesla angezweifelt und Verstöße gegen ein Zugriffsverbot im Artenschutzrecht für Zauneidechsen und Schlingnattern festgestellt. Das OVG untersagte Rodungsmaßnahmen in Randbereichen der abzuholzenden Flächen sowie einem Streifen entlang der Autobahn, da zumindest die Männchen der Zauneidechsen schon im Winterquartier seien und ein Tötungsrisiko durch die Rodung bestehe.9
Kleine Ergänzung: Mona Weishaar ist in München zuständig für die Umsiedlung von Zauneidechsen beim Bau der Zweiten S-Bahn-Stammstrecke: „Die Männchen ziehen sich meist schon im August zurück.“10 Die Weibchen folgen kurz danach: Im Frühjahr kriechen die Zauneidechsen dann wieder aus ihrem Winterquartier.

Natur- und Artenschutz neu denken! Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts zum Baustopp in Grünheide wegen der versäumten Umsetzung der Zauneidechsen: „Wir müssen insgesamt in Deutschland das ganze Thema Natur- und Artenschutz durchaus vielleicht auch noch mal ein bisschen neu denken, denn das gebe ich ganz ehrlich zu: Solche Dinge sind dann sicherlich schwer vermittelbar einem solch international agierenden Unternehmen.“11
Selbst für einen Wirtschaftsminister eine unglaubliche Aussage!

Brandenburg stundet. Tesla darf jetzt wieder werktags in 24-Stunden-Schichten weiterbauen. Das Umweltministerium hat Tesla zunächst eine Frist bis 4.1.2021, jetzt bis 15.1.2021 eingeräumt, um die Sicherheitsleistung von 100 Millionen Euro zu entrichten.12
Merkwürdig: Der angeblich wertvollste Autokonzern der Welt kann (oder will) die 100 Millionen Euro nicht aufbringen.

Elektroautos: hoch subventionierter Boom (1). 2019 betrug die Förderung von Elektroautos rund 98 Millionen Euro, 2020 waren es 652 Millionen Euro. Käufer beantragten für 229.951 Elektroautos eine Förderung (2019: 73.081). Die Zahl reiner E-Autos stieg von 51.000 (2019) auf über 126.000 (2020), die Zahl der Plug-in-Hybride von 22.000 (2019) auf 103.000 (2020).13

Elektroautos: hoch subventionierter Boom (2). Fast zehn Prozent der Neuzulassungen fuhren 2020 mit Strom, 2019 waren es unter zwei Prozent. (Sofern PHEV-Fahrer mit Strom fahren, meist fahren sie fossil; WZ) Die Kaufprämien können bis zu 10.000 Euro betragen, damit sind manche E-Autos günstiger als  Benziner oder Dieselfahrzeuge. Wallboxen werden mit bis zu 900 Euro subventioniert. Und die höhere CO2-Steuer auf Benzin und Diesel wird 2021 den Liter um zehn bis elf Cent erhöhen.14

Wo kommt der Strom her? Deutschland hatte die letzten Jahre einen Stromexport, der aber deutlich zurückgeht: 2020 waren dies knapp 17.500 GWh, etwa halb so viel wie 2019. Gleichzeitig stieg der Stromimport; 2020 auf fast 33.000 GWh, 36 Prozent mehr als 2019. „Ein Grund für die wachsenden Stromimporte ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der sinkende Anteil von Kohle- und Kernkraftwerken an der Stromerzeugung in Deutschland. Insbesondere bei Windstille oder Dunkelheit sei zur Deckung Strom importiert worden, stellten die Statistiker mit Blick auf das erste Halbjahr fest.“15

  1. Tesla.Werk in Brandenburg: Umweltschützer wollen gegen weitere Rodungen vorgehen, in faz.net 1.12.2020 []
  2. Becker, Jürgen, Mehr Power für die Kleinen, in SZ 5.12.2020 []
  3. Tesla in Grünheide: Verwaltungsrichter erlässt vorläufigen Rodungsstopp für Gigafactory, in spiegel.de 8.12.2020 []
  4. Heidtmann, Jan, Elon und die Schlingnattern, in SZ 10.12.2020 [] [] []
  5. Heidtmann, Jan, Elon und die Schlingnattern, in SZ 1012.2020 []
  6. Tesla muss Waldrodung in Grünheide schon wieder stoppen, in spiegel.de 10.12.2020; Lewalter, Udo, Gigafactory-Bau in Grünheide: Rodung erneut gestoppt, in computerbild.de 11.12.2020 []
  7. Beikler, Sabine, tagesspiegel.de, 14.12.2020 []
  8. Tesla muss Bauarbeiten in Grünheide vorerst stoppen, in spiegel.de 18.12.2020 []
  9. Tesla muss Rodung zum Teil weiter aussetzen – Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, in spiegel.de 18.12.2020 []
  10. Die Eidechsen-Kennerin, in SZ 19.12.2020 []
  11. ZDF HeuteJournal, 19.12.2020; zur Sendung: hier, 12 min 10 sec; Hervorhebung wz []
  12. Fristverlängerung für Elon Musk: Tesla  darf an der Fabrik in Grünheide weiterbauen, in spiegel.de 23.12.2020 []
  13. E-Auto-Prämie: Fördersumme stieg 20230 auf das Sechseinhalbfache, in spiegel.de 29.12.2020 []
  14. Specht, Michael, Elektroautos: Neuheiten von Tesla, Audi, BMW, VW Und Co. für 2021, in spiegel.de 30.12.2020 []
  15. Deutschland importiert mehr Strom als im Vorjahr, in spiegel.de 31.12.2020 []
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