Elektroauto Chronik eines Irrtums

April 2010

A

VDA: Merkel soll es richten. Am 3. Mai 2010 ist ein Spitzentreffen der Autoindustrie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgesehen, und schon im Vorfeld warnt der VDA vor den Konkurrenten aus dem Ausland: „Wichtige Autoländer sehen in der Elektromobilität die strategische Chance, die Spitzenstellung der deutschen Automobilbranche bei Verbrennungsmotoren wettzumachen.“1 VDA-Präsident Matthias Wissmann forderte ein Anreizprogramm für Elektromobilität und andere alternative Antriebe, damit eine größere Stückzahl der Elektroautos verkauft werden kann.1 Die Batteriekosten wären viel zu hoch: „Bei einem Elektrofahrzeug der unteren Mittelklasse mit einer Reichweite von 150 Kilometer ist laut VDA mit Mehrkosten von 10.000 bis 15.000 Euro gegenüber einem Personenwagen mit Verbrennungsmotor zu rechnen. Bisher hat sich die Bundesregierung aber dagegen gesträubt, den Kauf der ersten 100.000 E-Mobile mit jeweils 5000 Euro zu fördern.“1

Deutschland vorn beim E-Auto? Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer im Spiegel: „Niemand hat bisher ein ausgereiftes und preislich wettbewerbsfähiges Serienprodukt. Schon in drei oder vier Jahren wird es aber, so versichern mir Firmenvertreter, serienreife deutsche Elektroautos geben. Ich wünsche mir, dass es dann technologisch die besten der Welt sein werden – schließlich ergeben sich dadurch enorme Marktchancen. (…) Von Kaufprämien halte ich nichts. Das ist doch eine typisch deutsche Diskussion.“2

Frankreich fördertden Stromengpass. Umweltminister Jean-Louis Borloo präsentierte 20 private und staatliche Unternehmen, die jetzt 50.000 Elektroautos bestellen wollten. “ Aus dem Zweck der Veranstaltung macht die Regierung in Paris kein Geheimnis. Sie dient dazu, sagte der Minister, den französischen Herstellern Renault, PSA Peugeot Citroën, der Groupe Bolloré und Heuliez ‚eine ausreichend hohe Nachfrage‘ zu verschaffen, ‚um die Produktion von Elektroautos auf industrieller Basis zu beginnen‘. Paris hat nie ein Problem damit gehabt, Industriepolitik offenherzig zu betreiben.“3
Frankreich subventioniert den Kauf eines Elektroautos mit 5000 Euro, dazu zahlt der Staat bis 2020 für die Infrastruktur und die Ladestationen noch einmal 5,5 Milliarden Euro. Aus einem Investitionsprogrammkommen noch einmal 900 Millionen Euro, und für Privatunternehmen gibt es Zuschüsse in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, um Ladestationen zu bauen. Aber es gibt auch immer mehr Kritik von Umweltschützern. „Sie erinnern daran, dass auch Elektroautos die CO2-Bilanz verschlechtern können. Dann nämlich, wenn die 58 Atomkraftwerke Frankreichs wie in diesem Winter nicht dazu ausreichen, alle Franzosen mit Strom zu versorgen und deshalb Kohle- oder Gaskraftwerke zugeschaltet werden müssen.“3 – „Während sich die Vertreter von Industrie und Politik in Deutschland Anfang Mai zu einem E-Auto-Gipfel mühen, schreibt Frankreich Aufträge für Elektroautos aus, bestimmt Pilotregionen, entwirft Mobilitätskonzepte und gibt dafür viele Milliarden aus.“4

Röttgen für Elektroautos – und gegen Subventionen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) lehnt auf einem Kongress von auto motor und sport nach wie vor staatliche Subventionen bei Elektroautos ab. Staatsgelder müssten in die Forschung investiert werden, um die „technologische Revolution“ der Elektromobilität zu schaffen. „2030 werde es weltweit doppelt so viele Autos geben wie heute, sagte Röttgen. Ein Großteil davon müssten dann Elektrofahrzeuge sein, sonst hätte dies für die Umwelt katastrophale Folgen.“5

Elektro-VWs. VW erklärt, dass der E-Golf spätestens 2013 auf den Markt kommt. Zunächst sollte 2013 mit dem Kleinstwagen e-Up das VW-Elektroauto-Programm starten, darauf der E-Golf folgen und der E-Jetta. „Kritiker hatten Volkswagen in der Vergangenheit vorgeworfen, das Thema Elektroautos lange vernachlässigt zu haben. Konzernchef Martin Winterkorn hatte Mitte März in Wolfsburg aber angekündigt, Volkswagen wolle sich bei Elektromobilität weltweit ‚an die Spitze der Bewegung‘ setzen.“6

Deutsche Bank skeptisch. Die Forschungsabteilung der Deutschen Bank DB Research hat sich kritisch zur Elektromobilität geäußert. Die Batterien sind „zu voluminös“ und kosten mindestens 10.000 bis 15.000 Euro: Damit seien sie zu teuer. „Da auch Strom nicht umsonst zu tanken ist, muss man etwa 250.000 Kilometer fahren, damit sich ein derartiger Aufpreis auf ein reines Elektroauto lohnt – vorausgesetzt, die Batterie muss vorher nicht ausgetauscht werden.“7
Davon ist aber auszugehen: dass nämlich weit vor 250.000 Kilometer der Batteriesatz ausgetauscht werden muss: Und dann zählt der CO2-Rucksack doppelt.

Illusion Elektroauto. In Deutschland wird so unrichtig wie konsequent das Elektroauto mit Null Gramm CO2-Emission gewertet – aber nicht nur hier. „In den USA wird es ganz offiziell als ‚Zero Emission Vehicle‘, als Fahrzeug völlig ohne Emissionen bezeichnet. Ein Traum – viel zu schön, um wahr zu sein. Denn das Elektroauto emittiert beim Fahren zwar keine Abgase, doch irgendwie muss der Strom zum Laden der Batterien erzeugt werden: durch Solar-, Wind- oder Wasserenergie, durch Atomkraft oder in Kohlekraftwerken. Und je nachdem, wie sich die Energieversorgung eines Landes zusammensetzt, ist ein Elektroauto mal mehr, mal weniger umweltfreundlich. ‚Wir haben ein Wahrnehmungsproblem‘, sagt Bosch-Chef Franz Fehrenbach. Wenn die Industrie sage, in wenigen Jahren werde ein Mittelklasseauto nur drei Liter Diesel verbrauchen, wecke dies wenig Begeisterung. Für ein Elektroauto ‚bekommen Sie den vollen Applaus‘, obwohl die CO2-Bilanz des Drei-Liter-Autos mit Verbrennungsmotor ‘besser ist als die eines Elektrofahrzeugs.“8
Ein Grund für den Elektroauto-Hype: „Dennoch haben die großen Autohersteller keine Wahl: Sie müssen Elektroautos auf den Markt bringen. Zum einen sind die Ölvorräte begrenzt. Deshalb müssen Alternativen zum Verbrennungsmotor entwickelt werden. Zum anderen können viele Hersteller die Abgasgrenzwerte, die in der EU für 2020 vorgesehen sind, ohne Elektroautos kaum erreichen. ‚Es sei denn, wir bauen ausschließlich kleine Autos mit Dreizylindermotor‘, sagt BMW-Chef Reithofer, aber dies sei für sein Unternehmen ‚keine Option‘.“8

Die Konsequez: Super-Credits. Elektroautos sollen – über sogenannte Super-Credits – mehrfach gezählt werden, damit die Autoindustrie die dicken SUVs und Dienstwagen egalisieren kann: „In ihrem Entwurf für das Abschlusspapier des Spitzengesprächs am 3. Mai hat die Regierung aber schon mal festgeschrieben, wie sie das Elektroauto zu fördern gedenkt. Sie will sich unter anderem dafür einsetzen, dass Autos mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 50 Gramm mehrfach angerechnet werden, wenn der Flottenverbrauch eines Herstellers ermittelt wird. Ein Elektroauto könnte dann als Ausgleich für mehrere Spritschlucker dienen.“8

Subventionsmodell Elektroauto. Prämien für Elektroautos: China 6500 Euro, Kanada 6400 Euro, Spanien 6000 Euro, Großbritannien  5700 Euro, USA 5500 Euro, Frankreich 5000 Euro, Italien 3500 Euro, Irland 2500 Euro. Gesamtförderung in fünf Jahren: USA 22,2 Mrd. Euro, Frankreich 2,2 Mrd. Euro, Deutschland 0,6 Mrd. Euro.8

Elektrische Träume. Daimler gab im März 2010 eine Kooperation mit dem chinesischen Hersteller von Elektroautos Build Your Dreams (BYD) bekannt. Gedacht war auch an eine Kapitalbeteiligung von Daimler an BYD. Beide wollen Elektroautos für den Massenmarkt entwickeln. Die von BYD verkauften Elektroautos kosten umgerechnet zwischen 6000 und 10.000 Euro.9 „Der Batterie- und Autohersteller BYD soll den Stuttgartern dabei nicht nur als Technologiepartner helfen, sondern auch als Türöffner für den chinesischen Elektroauto-Markt fungieren. (…) 448.000 Autos haben die Chinesen im vergangenen Jahr abgesetzt. Die Wachstumsrate aber lag in dieser Zeit bei satten 238 Prozent; und 2010 sollen es 800.000 Fahrzeuge sein.“10
Ende Mai 2010 vereinbarten Daimler-Chef Dieter Zetsche und BYD dann die Gründung einer Gemeinschaftsfirma zur Entwicklung von Elektroautos; beide Partner halten jeweils 50 Prozent und investierten umgerechnet 71 Millionen Euro. „Die chinesische Regierung muss dem Vorhaben noch zustimmen. Daimler und BYD (‚Build your Dream‘) hatten Anfang März verabredet, binnen zwei bis drei Jahren gemeinsam ein elektrisch angetriebenes Stadtfahrzeug zu entwickeln und zu bauen. Das Stadtauto soll unter einer neuen Marke zu einem Preis ab 10.000 Euro verkauft werden. Daimler-Chef Zetsche hatte zuletzt mit Gesamtinvestitionen von mehr als 100 Millionen Euro gerechnet.“11

Skeptische Umweltexperten. Greenpeace äußerte sich im April 2010 kritisch zum Elektroauto: Eine positive Ökobilanz gegenüber fossil betriebenen Fahrzeugen ergäbe sich nur, wenn Ökostrom verwendet wird. Für China z. B. bedeuten Elektroautos nur eine Verlagerung der Emissionsquellen: „In Chinas Millionenmetropolen wird die Luft zwar besser werden, wenn in einigen Jahren Elektroautos das Straßenbild bestimmen. In der Provinz dagegen dürfte sie dicker werden. Chinas Strom kommt vor allem aus Kohlekraftwerken, und damit Millionen Batterie-Autos fahren können, müsste die Zahl der Kohlekraftwerke massiv aufgestockt werden.“12

Und wieder einmal geht es um Subventionen. Die deutsche Autoindustrie will staatliche Subventionen für Elektroautos. Und Angela Merkel kündigte an, verstärkt den Elektroautos für den Regierungsfuhrpark zu kaufen.
Nachtrag: Das war bis 2018 nicht umgesetzt. Von 68 bekanntgegebenen Dienstwagen der Bundesregierung – die meisten hoch motorisiert -, waren 40 Diesel-Pkw, 5 Benziner und 23 Plug-in-Hybride: und kein einziger rein elektrischer Pkw. (Zur Dienstwagen-Liste 2018 der DUH: hier; zur Pressemitteilung vom 14.8.2018: hier)
Am 3.5.2010 werden sich die Chefs der Autokonzerne und der Energiekonzerne im Kanzleramt zu einer Strategiekonferenz Elektromobilität treffen. „Hinter den Kulissen geht es um komplizierte technische Detailplanungen, im Grunde aber wird es um die Frage gehen, wie die Bundesregierung den Herstellern helfen kann. Etwa, indem sie heute die kostspielige Forschungsarbeit unterstützt oder morgen den Verkauf der Autos mit Anreizen ankurbelt.“13 Dann geht es auch um die Super-Credits: Die EU-Kommission senkt die CO2-Werte pro Kilometer, also baut die deutsche Autoindustrie weiter schwere fossil betriebene Boliden – und einige Elektroautos zum Gegenrechnen mit Null Gramm CO2.

Müde Akkus. Die Hochleistungsbatterien für Elektroautos sind nach wie vor unbefriedigend inbezug auf Leistung, Energiedichte und Lebensdauer. Beim Tesla Roadster zeigen sich erste Ergebnisse. „Die Batterien zeigen nach zwei Jahren erste Ermüdungserscheinungen, die verfügbare Energiemenge sinkt kontinuierlich. (…) Ein Auto muss aber zehn Jahre und mehr als 200.000 Kilometer bei allen Klimabedingungen durchhalten. Tesla gibt nicht mehr als vier Jahre Garantie auf den Roadster. Das gibt zu denken, weil auch die aktuelle Kleinserie von 1000 Elektro-Smart mit Tesla-Batterien ausgestattet wird. Eben weil es momentan keine anderen Energiespeicher auf dem Markt gibt, die sich im Auto bewährt haben.“14

Akkus im Hybrid. Die Akkus für Hybridfahrzeuge sollen nicht mehr als zu fünfzig Prozent entladen werden, um den Alterungsprozess nicht zu forcieren. Das geht wiederum zu Lasten der Reichweite. „Ein echtes Batterieauto muss aber den gesamten Energiespeicher ausschöpfen, um auf eine Reichweite von mehr als 100 Kilometern zu kommen.“14

Dünne Energiedichte. „Das Grundproblem bleibt die geringe Energiedichte der 200 Kilogramm schweren Stromkonserven: Momentan erreichen Lithium-Ionen-Batterien nur ein Hundertstel (!) der Energiedichte von flüssigem Kraftstoff. Selbst wenn die Akkus ihre Kapazität bis 2015 auf 200 Wattstunden je Kilo verdoppeln, wie Experten annehmen, wird ihre Energiedichte im Vergleich zu Dieselkraftstoff (10.000 Wh/kg) verschwindend gering bleiben.“14

Dietmar H. Lamparter in der Zeit zur Rolle der Politik: „‚Die Zukunft fährt elektrisch.‘ Diese Formel ist derzeit bei Bundesregierung, Automobil- und Energiekonzernen gleichermaßen en vogue. Zudem gilt die Autobranche als ‚Schlüsselindustrie‘, ohne deren Erfolge der Wohlstand des Landes auf dem Spiel steht. Es erscheint also logisch, dass Kanzlerin Angela Merkel die Spitzen der Industrie zum Gipfel lädt, um dieser den Weg zur Pole-Position bei der Elektromobilität zu bahnen. Es geht um Forschung, Normen, Infrastruktur, Kaufanreize – die Republik soll zum E-Auto-Musterland werden. Getankt wird an der Steckdose. Den vorangepreschten Asiaten soll gezeigt werden, wer am Ende die besten Batterien baut. Zur ‚nationalen Aufgabe‘ hat das die Kanzlerin stilisiert. E-Euphorie pur. Die Politik glaubt den Weg zu kennen – und könnte sich wieder einmal zu früh festlegen. Siehe Biosprit. Siehe Transrapid.“15
Lamparter sprach sich gegen eine einseitige Förderung der Batterietechnik durch den Staat aus. Das Ziel der Regierung sollte der Klimaschutz sein und dafür die Rahmenbedingungen zu setzen: „Niedrige Grenzwerte für die CO₂-Emissionen sind der wirkungsvollste Weg. Damit wird der Einfallsreichtum der Ingenieure nicht vorzeitig kanalisiert.“15

Der Mann dahinter. Henning Kagermann, 1991 bis 2009 Vorstandschef von SAP, dann der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Er wird am 3.5.2010 die Leitung der Nationalen Plattform Elektromobilität übernehmen, die die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland koordinieren soll. „Auf schnelle Erfolge beim Elektroauto schielt auch die Physikerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Dinge ebenfalls gerne vom Ergebnis her durchdenkt. Und so darf es als harmonische Fügung betrachtet werden, dass der in dieser Hinsicht mental ähnlich gestrickte Physikprofessor Kagermann das Steuer beim Lenkungsausschuss in die Hand gedrückt bekommt.“16
„Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sollen der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber und der Präsident des Automobilverbandes VDA, Matthias Wissmann, als Koordinatoren zwischen Politik und Industrie fungieren. ‚Die Einbeziehung der Arbeitnehmerseite geht auf besonderen Wunsch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück‘, heißt es dazu.“17

Eine Million Elektroautos bis 2020 für zehn Milliarden Euro. Die Autokonzerne rechnen in den nächsten drei bis vier Jahren für die Elektromobilität mit Investitionen von rund zehn Milliarden Euro, wovon sie 80 bis 90 Prozent selbst aufbringen müssen. „Im Umkehrschluss hieße dies: Die Regierung müsste die für den Aufbau der Elektromobilität entscheidende Forschung in den kommenden Jahren mit mindestens zwei Milliarden Euro fördern, um ihr Ziel, bis zum Jahr 2020 mindestens eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen zu bringen, zu erreichen. Fördermittel gäbe es dann vor allem für die Entwicklungsabteilungen der Unternehmen, für Hochschulen und die Fraunhofer-Institute.“17

Super-Credits gewünscht. „Helfen dürfte die Regierung den Herstellern auch, indem sie deren Kohlendioxid-Bilanz durch mehrfache Anrechnung von Elektroautos auf die Gesamtflotte verbessert. Das Ziel: Die Hersteller investieren in E-Autos, um die strengen CO2– Grenzwerte der EU einzuhalten.“17
Der ganze Hype um das Elektroauto ist natürlich auch und vor allem ein gigantisches Ablenkungsmanöver: um die gigantischen CO2-Emissionen der Mercedes-S-Klasse, der 7er-BMWs und der Audi A8 mitsamt der AUDI-BMW-MERCEDES-SUVs gegenzurechnen und durchzuwinken.

Umweltverbände kritisieren Elektroauto-Politik der Regierung. „Die von Regierung und Industrie angepriesenen Elektrofahrzeuge bringen weder den Klimaschutz in den nächsten 10 Jahren voran, noch lösen Elektroautos die Verkehrsprobleme von heute. Greenpeace Deutschland, Naturschutzbund Deutschland (NABU), Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) und Verkehrsclub Deutschland (VCD) fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, die Klimaschutzziele ins Zentrum der Verkehrspolitik zu stellen und in der Nationalen Plattform Elektromobilität nicht weiter einseitig den Interessen von Auto-, Chemie- und Stromkonzernen zu folgen. Die Umweltschutzverbände appellieren an Kanzlerin Merkel, die geplanten Milliardensubventionen für die Industrie stattdessen zielgerichtet in klima- und umweltverträgliche Mobilitätslösungen für die gesamte Gesellschaft zu lenken. (…) ‚Die Autoindustrie lenkt alle fünf Jahre mit neuen Heilsversprechen davon ab, dass sie mit ihrem aktuellen Fahrzeugangebot die EU-Klimaschutzauflagen nicht erfüllt. Jetzt sollen wieder mehrere Milliarden Euro direkte und indirekte Subventionen an die deutschen Autohersteller für ein potemkinsches Dorf der Elektromobilität im Jahre 2020 fließen, während gleichzeitig der Verkauf spritfressender PS-Boliden mit erhöhter staatlicher Förderung weitergeht‘, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Resch warnte vor einer erneuten ‚Plünderung der Steuerkassen durch die Autokonzerne‘ und forderte die Bundesregierung auf, keine Steuergelder an die Autoindustrie für die Elektromobilität auszuzahlen. (…) NABU-Verkehrsexperte Dietmar Oeliger lehnte einseitige Verkaufsprämien für Elektroautos zum jetzigen Zeitpunkt ab. ‚Elektroautos werden sich sehr schnell als Wolf im Schafspelz herausstellen, wenn nur der Benzin- gegen einen Elektromotor ausgetauscht wird und ansonsten alles beim Alten bleibt‘, sagte Oeliger. Die Bundesregierung solle stattdessen ‚technikneutral Anreize für Fahrzeuge mit den niedrigsten CO2-Emissionen‘ schaffen. (…) ‚Die Bundesregierung versucht im Schulterschluss mit der Industrie, die Öffentlichkeit zu täuschen‘, sagte Wolfgang Lohbeck, verkehrspolitischer Sprecher von Greenpeace Deutschland. ‚Elektroautos sind eben keine Null-Emissionsfahrzeuge, sondern beim jetzigen Strommix in Deutschland auch längerfristig sogar eher schlechter als ein vergleichbares herkömmliches Auto. Und der Strom kommt auch für E-Autos aus der Steckdose, nicht wahlweise aus einer Windanlage.‘ Lohbeck wies die Behauptung der großen Stromversorger zurück, Elektroautos würden mit ‚grünem‘ Strom betankt. ‚Die Stromkonzerne versuchen darüber hinwegzutäuschen, dass die Anrechnung von ‚grünem‘ Strom ein reiner Verschiebebahnhof ist – es kommt keine einzige zusätzliche ‚grüne‘ Kilowattstunde ins Netz‘, sagte Lohbeck.“18

Helfer aus der Politik. Deutsche Autobosse verweisen auf den technologischen Vorsprung von China, den USA und Frankreich bei der Elektromobilität – und werben um staatliche Subventionen. „Ohne staatliche Hilfe könne Deutschland sein Ziel, internationaler Leitmarkt für Elektromobilität zu werden, vergessen, warnt BMW-Chef Norbert Reithofer. Sein Daimler-Kollege Dieter Zetsche sieht es genauso. Keine Staatshilfe, kein Weiterkommen. (…) Von einer ‚Schlüsselfrage für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie‘ spricht Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU).“19

Alle für Elektroautos. Auch die Grünen sprechen sich für Elektromobilität aus. Cem Özdemir: „Die deutschen Autobauer haben den Trend zur Elektromobilität verschlafen. Jetzt droht die Gefahr, dass die Autos der Zukunft nicht mehr made in Germany sind.“19 Die Grünen schlagen 5000 Euro pro Elektroauto vor und nennen eine Zielversion von zwei Millionen Elektroautos bis 2020.19 Das ist doppelt so viel wie die Bundesregierung mit einer Million schon unrealistisch anpeilt.
Und aus Regierungskreisen verlautet: „Das Schöne ist, dass sich irgendwie jeder hinter die Elektromobilität stellen kann. Das Thema ist sehr dankbar.20
Das Thema ist so dankbar, weil das Publikum kaum durchblickt und über jede Pseudo-Mobilitätslösung dankbar ist, mit der die Autoindustrie ihre dicken Abgasschleudern retten. Und die Politik bietet die Pseudo-Lösung Elektromobilität an.

Seltene Erden für Elektroautos. „Terbium wird für Brennstoffzellen benötigt, Yttrium für Energiesparlampen, Lanthan für Hybridfahrzeuge. Kaum eine der Schlüsseltechnologien, auf die die Autoindustrie setzt, kommt ohne seltene Rohstoffe aus. Darunter befinden sich auch die sogenannten seltenen Erden, Metalle, die so unbekannt sind, dass kaum ein Autofahrer je davon gehört hat. Doch die Versorgung mit diesen wertvollen Stoffen gilt als Achillesferse einer modernen Autoindustrie, die ohne Sprit und Diesel auskommen will. Das Problem dabei: Viele dieser strategisch wichtigen Rohstoffe kommen auf der Erde nur in sehr geringen Mengen vor. Außerdem werden sie fast ausschließlich in China abgebaut. (…) Selbst den Meeresboden wollen die modernen Schatzsucher gründlich durchwühlen. Durchsucht werden soll ein Gebiet im ostchinesischen Meer, das 340.000 Quadratkilometer groß ist. Politische Konflikte mit China sind programmiert, weil sich beide Länder um den exakten Verlauf der jeweiligen maritimen Wirtschaftszonen streiten.“21

Wer ist Erstkäufer? Nach wie vor stellt das Reichweitenthema eines der größten Probleme dar – und ist unter dem Begriff „Reichweitenangst“ bekannt geworden, auf englisch Range Anxiety. (Zusätzliche fossil betriebene Motoren heißen dementsprechend Range Extender.)
Thomas Schlick, Geschäftsführer im Verband der Automobil-Hersteller, äußerte dazu: „Ein voller Akku bei einem Elektroauto entspricht der Reserve im Tank bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.“22
Zwei Käufergruppen werden beim Elektroauto unterschieden: „Die ersten Käufergruppen, sind die Konzerne überzeugt, werden sich mit einem lückenhaften System zum Aufladen arrangieren. Es sind erstens die sogenannten Early Adopters, technikverliebte, gut verdienende Stadtbewohner, die anfängliche Probleme klaglos hinnehmen. Die zweite Kundengruppe soll diese kaum bemerken: Es sind die Fahrer kleiner Zweitwagen, die ohnehin kaum die Stadt verlassen – für Ausflüge nutzen die Käufer den Familien-Kombi.“22

Sind Elektroautos „öko“? Die Elektroautos werden – nicht nur hierzulande – als CO2-frei gewertet, egal, wie sich der jeweilige Strommix zusammensetzt. Das war eine Vorgabe des VDA, dessen Präsident Matthias Wissmann oft genug drauf gedrungen hat. 2009 fielen laut UBA 575 Gramm CO2 pro kWh an. „Sollen Elektroautos mit den besten Fahrzeugen mit Dieselmotoren mithalten, dürfen sie darum nicht mehr als 17 Kilowattstunden auf 100 Kilometer verbrauchen. Die Herstellerangaben liegen meist darunter, aber der reale Verbrauch im Alltag oft weit darüber – schon weil die Heizung im Winter direkt aus der Batterie bestritten wird.“22
2016 wurden für jede Kilowattstunde Strom immer noch 527 Gramm CO2 emittiert. Dazu ist natürlich der „Öko-Strom“ nicht CO2-frei. „Auch bei der Erzeugung von Windstrom an Land werden laut Umweltbundesamt neun Gramm CO2 pro Kilowattstunde frei, bei Fotovoltaikanlagen sind es 55 Gramm. Das sind wiederum rechnerische Emissionen – auch die Solarzellen und ihre Ständer, die Flügel und Masten der Windräder müssen schließlich hergestellt, transportiert, aufgestellt und angeschlossen werden.“23

  1. Becker, Joachim, Auf der Suche nach dem Wir-Gefühl, in SZ 6.4.2010 [] [] []
  2. „Ich will das beste Elektroauto der Welt“, in Der Spiegel 15/12.4.2010 []
  3. Kläsgen, Michael, Koste es, was es wolle, in SZ 15.4.2010 [] []
  4. Kläsgen, Michael, Berlin denkt, Paris lenkt, in SZ 17.4.2010 []
  5. dpa, Röttgen gegen Zuschüsse, in SZ 16.4.2010 []
  6. dpa, Volkswagen startet mit E-Golf, in SZ 19.4.2010 []
  7. Heymann, Eric, Elektromobilität: Noch ein weiter Weg bis zum Massenmarkt, in onpulsion.de 19.4.2010; vgl. auch: Elektromobile: Die Begeisterung ist übertrieben, in Die Zeit 22.4.2010 []
  8. Hawranek, Dietmar, Neubacher, Alexander, Die große E-Illusion, in Der Spiegel 26.4.2010 [] [] [] []
  9. Daimler startet neue Marke  in China, in tagesspiegel.de 3.3.2010 []
  10. Fromm, Thomas, Planspiele in Peking, in SZ  26.4.2010 []
  11. Reuters, Daimler baut Elektroautos für China, in SZ 28.4.2010 []
  12. Fromm, Thomas, Mit dem Strom, in SZ 26.4.2010; Hervorhebung WZ []
  13. Fromm, Thomas, Mit dem Strom, in SZ 26.4.2010 []
  14. Becker, Joachim, Zu schnell müde, in SZ 27.4.2010 [] [] []
  15. Lamparter, Dietmar H., E-Euphorie, in Die Zeit 29.4.2010 [] []
  16. Deckstein, Dagmar, Profil: Henning Kagermann, in SZ 29.4.2010; Wikipedia []
  17. Fromm, Thomas, Haas, Sibylle, Autokonzerne ringen um Hilfe, in SZ 29.4.2010 [] [] []
  18. Gemeinsame Pressemitteilung: Mit dem Elektromobil durch Potemkinsche Dörfer: Umweltschutzverbände fordern Realitätscheck für Elektromobilität, Berlin 29.4.2010 []
  19. Bauchmüller, Michael, Fromm, Thomas, Wettlauf der Subventionen, in SZ 30.4.2010 [] [] []
  20. Bauchmüller, Michael, Fromm, Thomas, Wettlauf der Subventionen, in SZ 30.4.2010; Hervorhebung WZ []
  21. Liebrich, Silvia, Die Rohstoff-Lücke, in SZ 30.4.2010; vgl. auch im Kritischen Elektroauto-Lexikon: „Seltene Erden []
  22. Schrader, Christopher, Wer bewegt sich zuerst, in SZ 30.4.2010 [] [] []
  23. Schrader, Christopher, Die Ökobilanz der E-Mobilität, in Spektrum der Wissenschaft 5.2018 []
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