Elektroauto Chronik eines Irrtums

Future Mobility Corporation (FMC) (FMC)

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Aktualisiert 26.10.2020

FMC ist ein 2016 von Tencent, Foxconn und Harmony New Engine gegründeter chinesischer Automobilhersteller. Mitgründer waren frühere leitende Angestellte von BMW und Nissan sowie frühere Tesla-Mitarbeiter. FMC kündigte sein erstes Elektroauto unter der Marke Byton für den September 2017 an. (Wikipedia)

FMC kaufte Experten ein. „Hunderte Menschen wird FMC in den nächsten Wochen anstellen. Sie sollen ein Elektromobil made in China konzipieren, wie es die Welt noch nie gesehen hat: vernetzter und massentauglicher als alles, was bislang auf dem Weltmarkt ist. (…) Das Start-up hat einige der klügsten und ambitioniertesten Köpfe eingekauft: Topentwickler von BMW, Daimler, Google und Tesla. Dazu kommen Kapital und politische Macht. Hinter FMC stehen mit dem Internet-Giganten Tencent und dem Autohändler Harmony zwei der mächtigsten Konzerne der Volksrepublik, dazu kommt der iPhone-Fertiger Foxconn. Und vor allem hat FMC das Regime in Peking im Rücken.“1
Zum Team gehört u. a. Carsten Breitfeld, der bei BMW das Projekt des Hybrid-Sportwagen i8 leitete. Daniel Kirchert war für BMW im China-Verkauf tätig. „Von BMWs E-Auto-Projekt namens ‚i‘ wechselten der Chefdesigner, der oberste Entwickler des elektrischen Antriebs und der leitende Produktmanager. Von Mercedes und Google kamen zwei Spezialisten für selbstfahrende Autos. Auch dem amerikanischen E-Auto-Hersteller Tesla haben Breitfeld und Kirchert drei Führungskräfte abgeworben – vor allem Marc Duchesne, der bei dem kalifornischen Rivalen die globale Lieferkette organisierte.“1

Abwerbungen. FMC holte sich von überall Mitarbeiter: „Wolfram Luchner, bei FMC für die Mensch-Maschine-Schnittstelle verantwortlich, war ein führender Kopf in Googles Projekt zum autonomen Fahren. Nicht weit entfernt im Silicon Valley hat Luca Delgrossi die Fahrroboter für Mercedes entwickelt, bevor er Direktor autonomes Fahren bei FMC wurde. Schon wird das Start-up als nächstes Tesla gehandelt – nicht ohne Grund: Der Ex-Toyota-Manager Mark Duchesne baute die Tesla-Fabrik in Fremont von der Manufaktur zum Vollwerk aus. Nun wird er die FMC-Produktion leiten. Auch Einkaufschef Stephen Ivsan hatte bei Tesla zuvor dieselbe Funktion inne.“2

Apple auf Rädern. „Byton könnte das nächste große Ding der Autowelt werden, sozusagen Tesla made in China. Die Marke wurde von der Future Mobility Corporation mit Sitz in Hongkong ins Leben gerufen und im September 2017 vorgestellt. Auf der Elektronikmesse CES Anfang dieses Jahres in Las Vegas zeigte Byton bereits ein Auto: einen SUV mit Elektroantrieb – mit dem größten Bildschirm, den es bislang in einem Pkw gab. Der Monitor, 1,25 Meter breit und 25 Zentimeter hoch, ersetzt die klassische Armaturentafel. Die Bedienung des Autos erfolgt komplett digital, regelmäßige Updates sollen die Software aktuell halten, autonome Fahrfunktionen deren immer intensivere Nutzung ermöglichen.“3

Byton und die Zulieferer. Byton suchte sich – auch bedingt durch die eingekauften Mitarbeiter – die entsprechend erfahrenen Zulieferer. „Der Elektroantrieb etwa stammt von Bosch (Deutschland), das Interieur von Faurecia (Frankreich), der Riesenmonitor von BOE und die Batteriezellen von CATL (beide China). Die Entwicklung der Akkupakete und vor allem die gesamte Vernetzung und Digitalisierung liegen in den Händen von Byton selbst. (…) Der Byton soll weniger ein Auto sein als ein ‚Smart Device‘, ein digitales Endgerät also. Anfangs wird das Bediensystem in die vier Bereiche ‚Entertainment‘, ‚Communication‘, ‚Health‘ und ‚Activities‘ unterteilt sein. Da jeder, der einen Byton kauft, direkt mit dem Unternehmen den Vertrag schließt (die Händler vor Ort agieren als Agenturen), landen auch sämtliche Daten aus dem Auto bei Byton. Und aus denen sollen nach und nach immer neue Services und damit auch Geschäftsmodelle entstehen.“3

Breitfeld geht. Carsten Breitfeld, der ehemalige BMW-Manager, federführend beim i8, wollte mit Byton den „Tesla-Killer“ konstruieren: Im Süden Chinas entsteht dafür eine große Firma; die Auslieferung soll Ende 2019 starten. Im April 2019 trat Breitfeld als Aufsichtsratschef zurück.4 Auf der Konsumelektronikmesse CES 2018 in Las Vegas hatte er noch stolz den Prototyp von Bytons erstem E-SUV M-Byte präsentiert. Für Byton ist der Abgang des ehemaligen BMW-Projektleiters des i8 hart: „Zumal sich der Hype um die als Heilsbringer gestarteten Auto-Start-ups in China zuletzt deutlich abgekühlt hat“.5

Breitfeld von BMW über Byton und Iconiq zu Faraday Future. Der bei BMW für den Hybrid i8 zuständige Carsten Breitfeld gründete mit Daniel Kirchert 2016 den chinesischen Elektroauto-Produzenten Byton und wechselte im April 2019 zu Iconiq. Nun arbeitet er für Faraday Future, das ein Joint Venture mit dem chinesischen Spielekonzern The9 einging. Faraday Future produziert den SUV FF91 nach wie vor nicht.6 Daniel Kirchert ist Breitfelds Nachfolger bei Byton. Inzwischen steht Bytons Finanzierung laut Experten „auf wackeligen Füßen“.7

Byton M-Byte auf der IAA 2019: 4,85 Meter langer und 2,20 Meter breiter SUV in der Liga von Mercedes EQC und Audi e-tron mit einem 48-Zoll-Bildschirm über das ganze (frühere) Armaturenbrett, 200 kW-Motor an der Hinterachse, 150 kW-Motor an der Vorderachse, bis 476 PS möglich, 95 kWh-Akkusatz, ab 55.000 Euro8 Den Verkaufspreis von 45.000 Euro (vor Steuern) bezeichnete der neue Byton-Chef Daniel Kirchert als „Kampfpreis“.9

Byton als  Pandemie-Opfer? Im April 2020 schickte Byton Hunderte Mitarbeiter im kalifornischen Santa Clara in den Zwangsurlaub; inzwischen sind die meisten der 450 entlassen. In München wurden die rund 70 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Das Büro in Shanghai wurde Ende April 2020 geschlossen. Im Byton-Werk in Nanjing steht die Produktion, weil Byton seine Zulieferer nicht bezahlen kann.10 Ende Juni 2020 waren die chinesischen Mitarbeiter dran. Inzwischen sind  fast alle Mitarbeiter weltweit entlassen. Bytons „ganzheitlichem Gesamtkonzept“ (Daniel Kirchert) fehlte eine wesentliche Säule: das Netz aus Schnellladestationen für Mittel- und Langstrecken.11 Damit ist nach Faraday Future und e.Go das dritte Elektroauto-Start-up finanziell am Ende. – Byton erhielt im Juni 2020 in China die Produktionslizenz. Kurz danach wurde das neue Werk in Nanjing wieder geschlossen. „Weil Investoren ihre Finanzierungszusagen nicht halten können, sind von weltweit knapp 1500 Byton-Mitarbeiter nur noch wenige an Bord.“12

Zweiter BMW-Manager verlässt Byton. Der frühere Leiter des BMW-Projektes i8, Carsten Breitfeld, hat Byton im April 2019 verlassen. Der zweite ehemalige BMW-Manager Daniel Kirchert hatte noch im Januar 2020 auf der CES in Las Vegas den Elektro-SUV M-Byte vorgestellt. „Doch nun hat Kirchert die Firma fluchtartig verlassen; nicht mal von seinem Team verabschiedete er sich.“13

  1. Hecking, Claus, Sie setzen ein Volk unter Strom, in Die Zeit 2.2.2017 [] []
  2. Becker, Joachim, Angriff aus China, in SZ 11.2.2017 []
  3. Pander, Jürgen, „Wir wollen das Apple der Autos werden“, in spiegel.de 25.4.2018 [] []
  4. Abschied von Byton, in SZ 18.4.3019 []
  5. Rest, Jinas, Hucko, Margret, Byton: Carsten Breitfeld verlässt offenbar Elektro-Start-up, in manager-magazin.de 11.4.2019 []
  6. Spurwechsel, in SZ 4.9.2019 []
  7. Grünweg, Tom, Langsam, aber gewaltig, in spiegel.de 12.9.2019 []
  8. Die Neuheiten der IAA 2019: Fette SUVs und süße Kleine, in spiegel.de 6.9.2019; Byton M-Byte: Kampfansage an Mercedes und Audi, in spiegel.de 12.9.2019; Grünweg, Tom, Langsam, aber gewaltig, in spiegel.de 12.9.2019 []
  9. Mayr, Stefan, Viel Display, wenig Knöpfe, in SZ 12.9.2019 []
  10. Wurzel, Steffen, E-Auto-Start-up Byton droht die Pleite, in boerse.ard.de 30.6.2020; Byton nimmt sich Auszeit, in SZ 2.7.2020 []
  11. Hajek, Stefan, Produktion gestoppt: Byton hat das Wichtigste vergessen, in wiwo.de 1.7.2020 []
  12. Becker, Joachim, Gute Zeiten, schlechte Zeiten, in SZ 11.7.2020 []
  13. Rest, Jonas, Hucko Margret, Gefeiert als Tesla-Rivale, endet Byton in einem chinesischen Staatskonzern: Der Chef ergreift die Flucht, in manager-magazin.de 22.10.2020 []
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